Abenteuer-Camping, Teil 2
14 Tage kaute und würgte die Anzeiger-Redaktion an der Replik auf einen fundierten Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 26.08.2020, bis es nicht mehr anders ging – es stand zu lange woanders; gern hätte man’s verschwiegen.
So gelang dem Redakteur Hochmann zum 09.09.2020 wieder ein anzeigertypisches Kleinstkunstwerk der Einseitigkeit in der Maske einer Gegendarstellung, ohne die eigentliche Darstellung offenzulegen. Es ist „Richtigstellung“ im luftleeren Raum und dort dauerelastisch aufgehängt. Und weil sie nicht mit Erkenntnisinteresse geschrieben wurde, sondern wohl Kollegenneid und Dünkel dem Redakteur die Edelfeder führten, fällt’s umso schwerer, sie mit Verstand zu lesen.
Wagen wir trotzdem den Eiertanz zwischen Stilkritik, Formenspott und Substanzanalyse.
Das Genre ist der Journalistische Purzelbaum: Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ist der Landkreis einige Antworten schuldig geblieben und hat nun dem Anzeiger Fragen beantwortet, die er gar nicht gestellt hat!
Möglichkeitsspringform
Und dann geht’s los, das Geraune in multiplem Konjunktivismus, der Möglichkeitsspringform: Des Campingplatzes „Existenz soll möglicherweise nicht rechtmäßig sein“ – hmm: Existenz ist Dasein ist evident; „nicht rechtmäßig“ kann allenfalls die Herstellung, die Genehmigung, die Duldung etc. sein.
Zwar beschreibt Hr. Hochmann denunziatorisch noch „ein Dortmunder Ehepaar“, das die Sperrung der illegalen Umgehungsstraße rechtskräftig bestätigt bekam, scheitert aber sogleich am nächsten Gedanken, ob dem ebenso illegalen Campingplatz dies gleichfalls blühen dürfte.
Lieber steigt er durch den rhetorischen Kletterwald des Landkreis-Bauamtsleiters, der „eindeutigen Bestandsschutz“ behauptet, weil er „den Campingplatz nicht für illegal hält“.
Das ist bestechend, auch deshalb, „weil wir nicht angenommen haben, dass sich der Bau (…) negativ auswirken würde“ – Aha, eindeutiger Bestandsschutz, weil keine Annahme !?
Abgesehen von dieser kecken Kausal-Kapriole ist aber – Hinterhalt der deutschen Sprache! – gar nicht die fehlende Annahme zu negativen Auswirkungen zu kritisieren, sondern vielmehr die getroffene Annahme, daß es negative Auswirkungen nicht gebe. Finde den Unterschied!
Rückwirkende Erwartungsprüfung
Wenn die Behörde zudem „nachträglich eine Prüfung veranlaßt, mit dem Ergebnis, dass schädliche Auswirkungen nicht zu erwarten sind“, möchte sie die Legalisierung eines rechtswidrigen Baukörpers auf dem Wege eines verwaltungsrechtlich einzigartigen Verwaltungsakts ermöglichen, nämlich: der Rückwirkenden Erwartungsprüfung !
Und mit der Idee, daß ein Austausch von Containern (sog. Fliegende Bauten) durch feste Bauwerke zudem FFH- und UVP-pflichtbefreit sei, sofern die Ausdehnung des bezeichneten Grundstücks nicht verändert werde, ist solch artifizielle Legalisierung zweifellos die Frohe Botschaft für alle Bauherrn im Landkreis. Das sollte als Amtliche Bekanntmachung im Anzeiger für Harlingerland fix veröffentlicht werden.
Selbstbeteiligung
Am Selbstgenehmigungsbescheid des Landkreises, so der Bauamtsleiter, dem auch der Unterschied zwischen Umweltverträglichkeitsprüfung UVP und Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie FFH wohl unbekannt ist, hätten sich zudem nächste Kollegenbehörden beteiligt, nämlich die Untere Deichbehörde und die Untere Naturschutzbehörde, so daß hier ein weiterer skurriler Verwaltungsakt zum Vollzug gelangte: die sogenannte Selbstbeteiligung, die man aber ja auch von anderen Schadensthemen her kennt!
Keineswegs aber geht es hier, wie Redakteur Hochmann erzählt, „zunächst um Begrifflichkeiten“, sondern um sonderliche Spitzfindigkeit. Einen „Ausbau“ der Campinganlage stellt der Landkreis auch deshalb in Abrede, weil eine Flächenvergrößerung nicht stattgefunden habe (was auch nicht der Wahrheit entspricht). Was jedoch einst als partielles Salzwiesenzelten geduldet war, wurde bis heute zur touristischen Großanlage auf- und umgebaut, deren Legalisierung per bloßer Flächendefinition auch jegliche Nutzungserweiterung gestatten würde, z.B. Caravan-Outlet, mit Hubschrauberlandeplatz …
Stil frißt Form frißt Content
Während Redakteur Hochmann im Gewand des Konjunktivismus und indirekter Rede den sogenannten „Kritikern“ Befindlichkeiten, Wahrnehmungen und nebulöse Äußerungen zuschreibt, entfaltet Landkreismitarbeiter Hillje in Originalzitaten in aller Breite seine Antworten auf nicht gestellte Fragen.
Diese Presseerklärung stützt den Sachverhalt des illegalen Camping- und auch Parkplatzes ausschließlich auf: „hält nicht für“, „nicht angenommen, dass“, „nachträglich veranlasst“, „eine gewisse Verunsicherung“, „sieht das anders“, „nicht zu erwarten“, „uns bekannte Verfahren“, „Meinungen“ …
Wo die Meinung herrscht, ist für Gesetzestreue kein Platz. Daher diffamiert er vorsorglich rechtskonformes Behördenhandeln als „idealtypischerweise“, ein Terminus also der Träumer und Realitätsflüchtlinge mit gleichzeitiger Haftungsfreistellung der Verantwortlichen.
Und wie stets, wenn der Anzeiger für Harlingerland einen Sachverhalt redaktionell bis zur Unkenntlichkeit aufgemischt hat, müssen andere wieder den Dreck wegmachen.
Hier also nochmals Fakt & Hintergrund
„Zu Feld“ (Hochmann) zieht nicht ein Ehepaar aus Dortmund, sondern zu Felde zog der Landkreis bewaffnet mit einer Karte, die den heutigen Campingplatz vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg am 21.05.2019 als unschuldige geschützte Salzwiesen deklarierte.
Außerdem: „Schon die Formulierung, dass der Kläger in dem Bebauungsplanverfahren gegen die Umgehungsstraße gegen den Campingplatz „zu Felde zieht“ unterstellt eine kriegerische Absicht, die der Sache absolut nicht gerecht wird und einer möglichen Einigung sogar erheblich schadet.“ (Wattenrat, Nachtrag 10.09.2020)
Zu diesen Salzwiesen führt die Verordnung des Landkreises Wittmund über die Benutzung des Deichvorlandes (…) vom 08.11.1984 im §2, Abs.1 aus: „Im Deichvorland ist es verboten, (…) Bauten oder sonstige Anlagen zu errichten und zu ändern, (…) Campingplätze anzulegen und zu unterhalten“. Der HAZ-Redakteur hatte dies ordentlich recherchiert; Landkreis und AfH benötigten 2 Wochen, um dazu Stellung zu nehmen.
Schutzgeldbereich
Für die Stadt Esens und ihren Bebauungsplan Nr.89 stellt sich somit die Frage, „ob ein außendeichs gelegener Campingplatz zur Größe von 100.000 qm mit mehreren hundert elektrifizierten Wohnmobilstellplätzen, mehreren Gebäuden und befestigten Wegen durch eine, nach dem Deichgesetz jederzeit rücknehmbare „Ausnahmegenehmigung“ gesichert werden kann, zumal er teilweise privatwirtschaftlich genutzt wird und dabei in den letzten Jahren Pachtgebühren von jährlich über 100.000,- Euro geflossen sind.“ (ebd.)
Die bezeichnete Ausnahmegenehmigung erfolgte offenkundig im kollegialen Zusammenspiel dreier Landkreisbehörden, nämlich Bauamt, Untere Deichbehörde, Untere Naturschutzbehörde. Der Preis für diese Ausnahmegenehmigung im Schutzgeldbereich beträgt jährlich ca. 100.000 € und wird von der Stadt Esens als Umsatzbeteiligung an der Pachtsache entrichtet.
Plausibility & Analogy
„Die neu aufgetretene Frage der Rechtmäßigkeit der touristischen Strandanlagen in Bensersiel ist nämlich lediglich eine logische Folge in dem Verfahren um den Bebauungsplan Nr.89. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 14.1.2016 – C-399/14, Rn.61) und des BVerwG (Urteile vom 15.7.2016 – 9 C 3.16, Rn.55, und vom 15.5.2019 -7 C 27.17, Rn.19 und 45) sind in das Verfahren alle sog. „Vorbelastungen“ hinsichtlich der EU-Schutzgebiete einzubringen.“
„Da die Stadt Esens dies jedoch im Bebauungsplan Nr.89 – auch nach der Kritik des BUND – nur unzureichend dargelegt hat, müssen diese Fragen nunmehr im Rahmen des Gerichtsverfahrens geklärt werden. Dabei ist bisher herausgekommen, dass unionsrechtliche Vorgaben – ähnlich wie in den alten Bebauungsplänen zur Umgehungsstraße – möglicherweise nicht beachtet worden sind.“ (ebd.)
Die Erklärung des Bauamtsleiters, die relativ neue UVP-Rechtslage habe damals noch nicht berücksichtigt werden können, hat jedoch keinen Bestand, denn:
„Die sog. „Vorprüfung“ für den Campingplatz hätte bereits vor 40 Jahren mit dem Inkrafttreten der Vogelschutz-Richtlinie (1979) durchgeführt werden müssen, da dieser Bereich schon damals als „Besonderes Schutzgebiet“ ausgewiesen war. Da nach schriftlicher Mitteilung der Staatlichen Vogelschutzwarte seit 1983 dort aber keine Vogelbestandsdaten mehr erhoben worden sind, können entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfungen nun gar nicht mehr sachgerecht nachgeholt werden.“ (ebd.)
Rechtsbruchsschutz
Da zudem der Landkreis selber einräumt, obligatorische FFH-Prüfungen versäumt zu haben, kann das fragliche Projekt auch keinen Bestandsschutz haben.
Im Parallelfall Umgehungsstraße Bensersiel rollte der Straßenverkehr von 2011 bis 2017; trotzdem musste sie nach dem Urteil des VG Oldenburg gesperrt werden.
Analog müsste auch mit dem Campingplatz verfahren werden, da die erforderlichen FFH-Prüfungen immer noch fehlen und Projekte, denen die FFH-Prüfung fehlt, obwohl diese erforderlich ist, nach der Rechtsprechung des EuGH zweifellos stillzulegen sind (z.B. Radwege-Urteil BVerwG vom 1.6.2017 – 9 C 2.16), was auch seinerzeit sogar der Rechtsberater der Stadt Esens, Prof. Gellermann, seiner Mandantschaft unmißverständlich in’s Poesiealbum zitiert hatte [klick].
„Angesichts des über Jahre andauernden rechtsuntreuen Verhaltens der Beklagten [Stadt Esens] ist nicht auszuschließen, dass sie ihr rechtsuntreues Verhalten fortsetzen bzw. bei nächster Gelegenheit wieder aufnehmen wird.“ (VG Oldenburg, 22.11.2017, Az. 5 A 2233/16).
Daraus folgt zunächst für die 2021 anstehende Kommunalwahl ein erheblicher Bedarf an Politikern, die nicht zu dämlich, faul oder dünkelhaft sind, sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen ihres Handelns auseinanderzusetzen und diese zu akzeptieren.
Den erklärten Willen zur einvernehmlichen Lösung bzw. Beilegung des Rechtsstreits Umgehungsstraße zum Beispiel sollte man da zum Maßstab der Politikfähigkeit und Wählbarkeit der Kandidaten nehmen.
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