Jenseits von Esens
Bildungsreise nach Uplengen
Der Handel mit Kinderpornos steht unter Strafe, der mit Nationalpornos hingegen unter fürsorglicher Obhut eines Esenser Stadtrates insofern, als die Ratsmitglieder den Händler ungefragt und einstimmig ihrer ausdrücklichen Verbundenheit, Beistandschaft und Anteilnahme versicherten, nachdem der Ex-Esenser Künstler Cyrus Overbeck die Bedeutung vorbehaltloser Akzeptanz völkischer Gebrauchskunst für die Faschisierung des Alltags zu thematisieren versuchte.
Für Esens weitgehend erfolglos – für Kassel und Halle auch.
Der Bezug zwischen dem Overbeck-Anliegen seiner 2018er Kanzelrede nebst zweier Anregungen an den Stadtrat einerseits und den Geschehen von Kassel und Halle andererseits wurde erst durch Spiegel, dpa, WDR ausgeleuchtet und legte den dünnen Firnis einer vorgeblichen Ratsherrnsorge um den guten Ruf ihrer Stadt bloß.
Haltungsform und Heimatliebe
Darunter trat eine Wut zutage, die solcherart Heimatliebe als Milchkannenchauvinismus entlarvte; Overbecks Impuls wirkte als Angriff auf diesen Heimatbegriff durch die Entblößung von dessen Hohlheit, Geistesferne und ruppiger Kehrseite, nämlich dem Fremdenhaß, den zu zügeln zwischen Vor- und Nachsaison regelmäßig wohl die große kulturelle Anforderung darstellt.
Eigentlich hatte Esens sich wohl nur einen renommierten Künstler halten wollen, ohne allerdings über die Haltungsform nachgedacht zu haben – und untertanengerechte Bodenhaltung vorausgesetzt. Mit Overbeck aber kriegte Esens einen universalen Menschen mit komplexer Biografie, der Kunst mit einem historischen humanistischen Bildungsbegriff ausstattet und selbstverständlich in einem politischen Kontext stattfinden läßt, aber weder Küstenidyll noch populäre Stadtmöblierung generiert, also mit dieser Esenser Heimatliebe zwangsläufig kollidieren mußte.
Genossen
Schwer irritierend blieb von der „Causa“ zurück, daß die Esenser Sozialdemokraten dem Genossen Cyrus sowohl die Thematisierung überhaupt als auch eine Diskussion gar völlig verweigerten.
Das Schweigen in der Sache ging einher mit dem Verbellen der Person, so daß Cyrus Overbeck nach 15 Jahren Esens verließ.
Umso aufschluß- und lehrreicher ist, daß der für eine Zivilgesellschaft zwingend-dringend nötige Dialog nun exakt ein Jahr nach dessen Esenser Verweigerung – Treppenwitz der Geschichte – in Uplengen (!) auf Einladung eines CDU-Gemeindeverbands stattfand:
Im Rahmen des 2. Uplengener Dialogs als „Taktvoller Wortwechsel über „Was tun gegen völkisches Denken und Nationalsozialismus? – Was kann Bildung für eine demokratische Gesellschaft leisten?“
Streitkultur
Und da konnte, wer wollte, einem kenntnisreichen und so klugen wie herzlichen Streit–Gespräch zwischen Ulf Thiele, MdL und Cyrus Overbeck zu o.b. Herrschaftszeiten mit anschließender respektabler Publikumsbeteiligung beiwohnen, daß es der Handvoll angereister Esenser gelegentlich die Fremdschamröte ins Gesicht trieb.
Die Offenheit ermöglichte auch die wichtige Benennung von Widersprüchen, so daß z.B. der Gastgeber bei aller Bezugnahme zum Reformationstag dennoch die Rolle Luthers als glühenden Judenhasser und oft benutzten Stichwortgeber des Holocausts zu thematisieren vermochte, was sonst vorzugsweise verschwiegen wird.
Neben dem „Man wird ja wohl mal sagen dürfen…“ und dem Kokettieren mit Nazi-Symbolen und -Attitüden zählen vor allem das diesbezügliche Wegsehen, der Verzicht auf den Widerspruch, das Beschweigen der Zeichen zu den frühen alltäglichen Wegbereitern des späteren Rechtsterrors und spannte den Bogen mitten in die Esenser Verhältnisse.
Beschweigen der Zeichen
Bildung käme hier eine besondere Rolle zu, nämlich als Kenntnis der Historie des unmittelbaren Umfelds und der kürzlichen Vergangenheit, als humanistische, soziale Bildung in Abgrenzung zur Aus-bildung unter ökonomischen Zwängen, die kaum Streitfähigkeit und Erkennen neofaschistischer Tendenzen ermöglicht.
Die Charakterisierung Esenser Politik(er) stand im Meinungsfokus in ihrer Widersprüchlichkeit zwischen Trägheit, Vorsicht, Phlegma, Nichtszulassenwollen; ständiger Umschau, wer ist für, wer gegen mich, bei Ignoranz der Sachfrage; dem Ducken hinter dem Vorwand, die Kommune vor schlechtem Ruf zu schützen; der Unfähigkeit, provokantes Wesen als hilfreich für die Lösung von Sachfragen überhaupt zu erfassen; dem Beleidigtsein als Kernkompetenz.
Es erging der Hinweis, Esens sei nur Teil bzw. kleines Abbild des gesamtgesellschaftlichen Problems Rechtsextremismus – was allerdings im Widerspruch zur notorischen Esenser Sonderbarkeitshysterie stünde.
Die Frage nach Strategien gegen Angst, Rat- und Hilflosigkeit angesichts zunehmend betriebener Salonfähigkeit (AfD als „bürgerliche“ Mitte) rechter subtiler wie offener Hetze wurde facettenreich aus dem Publikum beantwortet: Der Bürger, der Position bezieht, Stellung nimmt, thematisiert, sich gegen Rechtsakzeptanz stellt, auf deren Signale weist etc. habe von Politik, Verwaltung, Presse vielmehr Solidarität, Beistandschaft, Ermutigung zu erwarten und einzufordern, anstatt Ignoranz, Deckelung, Schweigen, Bestreiten, Parteiräson und größtmögliche Ausrichtung nach dem örtlich angesagten Mainstream.
Ob Esens den Schuß gehört hat?
Esenser Ratsmitglieder oder Pressevertreter, die ansonsten in ihren facebook-Ecken einander Blasenbildung und wohlige Suhle verschaffen, konnten hier in Uplengen jedenfalls nicht gesichtet werden.
Vielleicht führt nächstes Jahr eine kommunalpolitische Bildungsreise hin.
Punkt
Platz für Rassismus zum Dritten, 24,08.2019
Platz für Rassismus zum Zwoten, 16.08.2019
Platz für Rassismus?, 10.06.2019
Holoween & Hallocaust, 01.11.2018
„Den Parolen der Rechten wird zu wenig widersprochen“, Anzeiger für Harlingerland, 08.11.2019