Chronik von Moorweg
Die Buchbesprechung
Selbstverständlich habe ich, als die Moorweger Chronik erschien, der Bitte gern entsprochen, diese zu rezensieren, handelt es sich doch um ein Juwel von Dorfgeschichte, das prähistorische Entwicklung und aktuelles Zeitgeschehen gleichermaßen lesefreundlich vereint.
Den Chronisten kommt hier das große Verdienst zu, über die klassische Altertumserzählung hinaus weit den Bogen zu spannen bis in eine Neuzeit, ohne den noch unter uns lebenden Protagonisten als Zeitzeugen aus Respekt vor dem Format der Person und der Würde des Amtes persönlich zu nahe zu treten.
Mit beeindruckender Sachlichkeit werden Menschen und Lebenslagen in ihrer teils schicksalhaften Verstrickung portraitiert, so daß gerade das neuzeitliche Moorweger Dorfgeschehen passagenweise als Kriminalgeschichte des, mitunter augenzwinkernd so genannten, „Ganovenviertels der Samtgemeinde“ daherkommen mag.
Die Prähistorie ist flüssig abgehandelt: Mit der Völkerwanderung erreicht der homo australopithecus mit all seinen Mitbringseln den Schooer Flecken, läßt hier, nachdem er vom eigenen Bumerang am Kopf getroffen ist, seine Findlinge links liegen und zieht achtert Hagebau gen Esens.
Nach sieben übersichtlich und farbig gegliederten Kapiteln erreicht der Leser bereits die Moorweger Neuzeit. Sie beginnt Ende 2012, als Bürgermeister Schröder (mit dem Fortgang der Historie alsdann mit BümS bezeichnet) von der Nenndorfer Klinker GmbH für erwartete Folgeschäden am Gemeindeeigentum aus Tonabbau ein Sparbuch versprochen kriegt. Die Ungeübtheit mit der Neuzeit beschreiben die Chronisten treffend und einfühlsam im Antlitz des BümS bei Feststellung der Reichweite des Sparbuchkapitals (50000 €) angesichts der Schäden: 300 m ohne Brücke !
Dabei wirken die angeführten Belege und Dokumente aus Niederschriften und Beschlußvorlagen glaubhaft und belastbar, auch wenn diese in der Regel unter Verschluß und niemandem zugänglich sind. Da, wo BümS sie eigenhändig kleingeschnitten und neu zusammengefügt hatte, griffen die Forscher auf Originalunterlagen des Landkreises zurück, ein zwar aufwendiges Rechercheunterfangen, das letztlich jedoch dem hohen wissenschaftlichen Anspruch der Chronik geschuldet sein mußte.
Auch konnte so der Nachweis erbracht werden, in welchem Ausmaß BümS seinem Volke, dem Gemeinderat, den Samtgemeinde- sowie den Landkreisgremien eine Wahrheit vorenthielt, zu der er persönlich gar keinen Zugang hatte. In dem Kapitel Lehmabbau offenbaren die Chronisten noch einmal eindringlich die innere Zerrissenheit des Protagonisten zwischen Unwahrheit und Falschbehauptung auf der Schwelle eines steinigen Wegs in die Neuzeit.
A propos steinig – es sind in die sonst strenge Struktur der Chronik zahlreiche Anekdoten eingefügt, zum Beispiel wie BümS im Juni 2015 sein Ohr an einen Findling legte und „mit allen Sinnen“ etwas erklärte. Solches tut dem Werk gut und fördert den Lesefluß.
Als weitere geschichtliche Wegmarken sind die Moorweger Treckerkompetenzgruppe, der telefonische Ratsbeschluß von August 2014, dessen Liquidierung durch die Kommunalaufsicht im November d.J. und die geheime Vergabe von Baugrundstücken behandelt.
Sie lassen aber den Leser im Deutungsspektrum zwischen Klamotte und politischem Rabaukentum verunsichert und ohne Orientierung zurück, und auch die Verfasser nehmen hier ganz bewußt keine Klassifizierung vor, sondern bleiben als Wissenschaftler neutral und sachgerecht im Hintergrund. Für den unterhaltungsgewohnten Konsumenten mag dies eine Schwäche des Buches sein, macht es aber umso wirklichkeitsnäher.
Wiederum kurzweilig bereichert wird der Anekdotenschatz um 5 t Asphalt, die der Gemeinderat und -arbeiter in den Wald kippte und darob mit dem Stinkefinger grüßte sowie den durch BümS ausgerufenen akuten Asphalt-Notstand, nachdem Tante Ilse mit dem Rollator im Schlagloch sich den Oberschenkelhals gebrochen hatte.
Hilfreich bei diesem Kapitel waren den Buchautoren die Zeitungsarchive des Anzeigers für Harlingerland, der Ostfriesenzeitung sowie die online-Archive der Blogs holtgast-ostfriesland.de und bfb-cdu-esens.de.
Auch darf das Anliegen der Chronisten, die tragische Figur eines Ortsvorstehers auf dem Weg in die Neuzeit hier nicht nur als Opfer ihrer Unzulänglichkeit dastehen zu lassen, als ambitioniert und durchaus gelungen bezeichnet werden – nein – immer ist sie auch Täter, die Figur, wenn auch nicht zu belangen oder gar strafmündig.
Bei ihrer Recherche zu den Kosten des weggeschmissenen Asphalts, zu den Kosten der anwaltlichen Vertretung im Ermittlungsverfahren, zur Haushaltsstelle, aus der sie bezahlt wurde, sowie zur Aufstellung der Gemeinderatskandidaten, über die BümS als seine alphabetische Gesamtliste – und nicht etwa rechtskonform einzeln – abstimmen ließ, stießen die Chronisten jedoch, wie sie in der Fußnote einräumen, an ihre Grenzen und verschlossene Türen. Datenschutz! Dieses Kapitel ist das einzige dunkle des Werkes und bleibt wohl auf Dauer unchronifiziert.
Fürwahr, eine „moderne Landgemeinde“ Moorweg ist kein Ponyhof, und zwischen Speisepferd, Nutzpferd und Sportpferd gilt es hier fein zu unterscheiden, was den Chronisten in vorzüglicher, unterhaltsamer Manier gelingt – und dann verweisen sie schließlich noch auf jenes Dienstpferd, mit dem der Ratsherr seit einiger Zeit die Gemeinderatssitzungen erreicht, seitdem sein Führerschein wieder weg ist.
Insofern sind die Widmungen des Neuzeitkapitels insgesamt ausgewogen und gerecht gestreut; der Ratsherr mit dem Stinkefinger findet ebenso Berücksichtigung wie der Reiter, der sich den Planungsauftrag für’s Neubaugebiet sichert und darin sich noch zwei Grundstücke reserviert, der Bm-Stellvertreter, von dessen Sohn der neue Gemeindetrecker gekauft wird wie der Gemeindearbeiter, der sich lange Zeit mit der Frage quält, ob er wohl den dafür erforderlichen Führerschein überhaupt besitzt.
Seinen vollends wissenschaftlichen Rang erhält das Büchlein allerdings vor allem durch das Grußwort des BümS und sein Bemühen, Gedanken zu entkleiden, in Worte zu wickeln und zu verschriftlichen also Gedanken zu entwickeln, in Worte zu kleiden und zu verschriftlichen. Nützlich ist das herausnehmbare, datierte kleine Verzeichnis seiner Notlügen im Anhang, und auch der verfügbaren Sekundärliteratur ist gebührend Aufmerksamkeit gewidmet worden (MPU-Testbogen; StA-Ermittlungsakte, etc.).
Und hier endet die Überlieferung in der Neuzeit – weit vor Erreichen der Moderne.
Wenn auch dieses Buch auf den ersten Blick mit 220 Gramm als Leichtgewicht daherkommen mag, weshalb der Einwohner sich fragt: „Ist es das, was Moorweg wirklich braucht?“, so ist es das auf den zweiten Blick ebenfalls. Es kostet 12 €, die Sparkasse hat die Hälfte finanziert und wer von ihrer Gebührenerhöhung betroffen war, sieht, daß das Geld gut angelegt ist. Es gehört in jede Krippe und unter jeden Gabentisch.
***