Kein Gewinn
für Bensersiel
(Udo Folkerts, Vorsitzender des Bau-
und Umweltausschusses)
Ungewohnt punktgenau faßte der Ausschußvorsitzende die im Echo der Präsentation einer „Deichdorfferienanlage Taddingsweg“ [sic] überaus höflich vorgetragenen Vorbehalte der Fraktions- und Gruppensprecher zusammen.
„Kein Gewinn für Bensersiel.“
Sie sei lediglich eine Wiederholung des bereits Vorhandenen, nämlich der Anlagen Taddigshörn und Lammertshörn.
Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen und der Text könnte hier enden … tun wir’s trotzdem, weil’s im Verlaufe des Abends noch etwas aufschlußreich unterhaltsam wurde.
Projektvorstellung
Es begab sich aber zu einer Zeit, als Staubsauger im Haustürgeschäft und Gemüsereiben vor Galeria-Kaufhof feilgeboten wurden, daß eine gewisse Friesische Huus & Heim GmbH & Co.KG im Schulterschluß mit PGN Planungsgemeinschaft Nord GmbH auch einen Investmentgesandten nach Esens beorderte, den dortigen Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung die Sinnhaftigkeit einer FeWo-Anlage am Taddigsweg 2-10 an die Backe zu labern kompetent zu kommunizieren.
Also trug Herr Dirk Brand mit großem Körpereinsatz eine Projektkonzeption vor, deren Wesensmerkmal die Errichtung von 40 gleichartigen Häuslein in 3 Varianten am exponierten Ortseingang von Esens sei.
[Die Erleichterung, daß NuRoKa hier nicht länger projektpräsent ist, soll nicht bestritten werden, wohnt dem doch nun ein Funken Hoffnung auf Lernprozeß bei den Entscheidungsträgern inne.]
Aber die alte rhetorische Kernfrage, ob denn B’siel tatsächlich unter einem Mangel an Ferienwohnungen leide, konnte dabei durch die begeisterte Erzählung technischer Details durch den Referenten routiniert ausgeblendet werden:
Weil zum Beispiel Wasser zumeist nach unten fließt, habe man sich ausgiebig Gedanken gemacht und sei in deren Verlauf (sog. Mäander) zum Ergebnis gelangt, zwo „ordentliche Regenrückhaltebecken“ nämlich an den beiden tiefsten Punkten des Areals einzuplanen. Chapeau!
Oder Bäume, ja Bäume, sollten weitgehend erhalten bleiben, nämlich gerade im Verlaufsbereich des Oldendorfer Tiefs, wo per städtischer Satzung ohnehin ja ein Bewirtschaftungs- u. Arbeitsraum von 10 m Breite vorgeschrieben sei. Nur drei im ostwärtigen Bereich wären verzichtbar. Respekt!
Sogar die Deichschutzzone wolle man achten; und zudem wurde das Gelände jetzt mal endlich „ordentlich eingemessen“, was ja bislang wohl versäumt worden war … Tausenddank zunächst!
NuRoKa-Komik übertroffen
12 Häuser mit 40 qm, 22 mit 55 qm und 6 mit 70 qm seien passgenau ins Gelände gepfercht und in der sog. Visualisierung des Einzeltyps fiel allen auf, daß da ein Baukörper seine berückende Wirkung aus dem Effekt bezog, inmitten einer wohlgestalteten riesigen Grünfläche allein zu stehen (Alleinstellungsmerkmal).
Diesbezügliche Fragen nach tatsächlicher Enge, Dichte, Abstand konnten mit „6 Meter“ zunächst generös abgebügelt werden und, um den Ostfriesen zu visualisieren, was überhaupt 6 Meter sind, ließ der power-seller sich’s nicht nehmen, sechs raumgreifende Schritte aufm Teppichboden des Sitzungssaals zu vollziehen: „Sehnse mal, das sind 6 Meter, hättense auch nicht gedacht, nä ?“
So konnte jedenfalls auch die alte NuRoKa-Konzept-Komik von seinerzeit 33 Kaminöfen, 33 Abgasrohren und 33 Saunen der einst favorisierten 33-Tiny-Haus-Kompression nun doch noch gesteigert werden auf 40 Häuslein mit – modern, modern – 40 Luftwärmepumpen auf kleinstem Raum, so daß der Passant bei dieser Siedlung bereits von einem Soundteppich geleitet würde, der als böses Alleinstellungsmerkmal gar manche Industrieanlage in den Schatten stellt, und die interne Nachbarschaftsinteraktion darunter, -rin und -rüber wird auch lustig.
Als weiteren Komfortjoker brachte Herr Brand eine fette Raum- bzw. Firsthöhe von 4 m gegenüber zB Tiny-Häusern in Stellung, wo man ja die Luke zum Schlafen hochklettern müsse: „wie im Wohnwagen, nä, wollen Sie im Wohnwagen Urlaub machen, wenn Sie ein Haus kaufen, nä?“ und lobte die „ordentliche Küche, nich sowas mit 2-Platten-Kocher, wie in vielen Ferienwohnungen, nä …“
Bunte Illustrierte
Schön sei an dem Projekt auch die vollständige Autofreiheit der Siedlung mit insgesamt 40 Parkplätzen an der west- und der ostwärtigen Außenkante und vor des Betrachters geistigem Auge rücken gerade die fröhlichen Putzregimenter mit ihren Staubsauger- und Schrubber-Trolleys ein, wohlgemut ob der kreativen Schotter-Schlängelwege zwischen Häuschen, Vegetation und Draußenparkplatz: Rappelrappel-klapper-holper …!
Weitere Details der eigentlichen Bauausführung sollen hier erspart bleiben, weil sie den Rahmen sprengen würden und wohl üppiges Material für ein eigenes Satirekompendium darstellen.
Jedenfalls gab’s noch viele lästige technische Einzelheiten mit Binsen, Anekdoten, Küchenlatein, daß auch dem Detlev Kiesé der Stift sichtlich heiß wurde beim Mitschreiben dieser ganzen Leistungsmerkmale, die in die Form eines Bauantrags, also in die Zuständigkeit einer Verwaltung, gehört hätten, nicht aber in die Politik, die Konzepte abzufragen gedachte … man wird’s vielleicht im Anzeiger für Harlingerland nachlesen können … nein, wir sehen gerade: kann man doch nicht!
Strukturbedarf
Fokko Saathoff brachte das Ganze dann als Erster in jene Spur, die die Eckpunkte der städtischen Interessenslage skizzierte, nämlich: „Wir möchten dort Leben haben, und einen Aha-Effekt im hervorgehobenen Ortseingang“ sowie die Frage nach dem Modus der Vermietung und wer denn dann der Betreiber sei?
Dieses für B’siel sehr berechtigte Interesse hinter den Fragen ließ sich daran ermessen, daß sie weitgehend unbeantwortet blieben.
Der Projektierer erzählte stattdessen von der Einzigartigkeit der Destination B’siel („da kann man schön Fisch essen“), auf die man sich besinnen müsse, und von seiner Absicht, beizeiten an die örtlichen Vermietungsagenturen zur Kooperation heranzutreten; zunächst aber müsse mal der Genehmigungsweg freigemacht werden.
Ob aber die Ortsansässigen, Brenne et al. sich um dieses sach- und aufwertungsfremde Experimentalgewurschtel reißen werden, sei hier mal dahingestellt.
Mißverständnis
Auch weitere Ratsmitglieder drangen in die Spur und thematisierten das Problem der unbewohnten Saisonbehausungen (Dave Münster, EBI), des Ortsbildes (Siebo Siebelts, CDU) und des Gesamtensembles (Martin Mammen, Grüne) , fanden jedoch wenig kompetentes Gehör.
Zielgruppe seien doch auch Leute, die nämlich auch gerne im Winter zum Wochenende kommen, weil das neue B’siel-Häuschen dann ja so schön ist wie das zu Hause … eine Entgegnung, die abermals das eklatante Mißverständnis offenbart, das diesem Projekt eingeschrieben ist und auch das Unverständnis hinsichtlich Auftrag und Reihenfolge.
Daß die politische Erwartung bzw. Hoffnung auf eine Quartiersentwicklung für Bensersiel sich an einen Investmentbeauftragten richtet, der aber das Areal ja nicht zur lokalen Inwertsetzung sondern zur weiteren Verwertung erworben hat, macht den unauflöslichen Widerspruch aus.
Subtile Diskreditierung
Und die Mitbringsel des Projektierers für sein Auditorium, nämlich die Erklärbären, wie weit 6 m und wie hoch 4 m sind, wie vernünftig Küche geht, 2-Platten-Kocher unmodern und Wärmepumpe zeitgemäß ist, wo auf überdachter Terrasse der Wind weht und eine Dreck-Schleuse hinter der Haustür liegt … etc.pp. konnten die mangelhafte Strukturplanung des Projekts nicht kompensieren, sondern funktionierten allenfalls als subtile Diskreditierung der heimischen Vermieter und Zuhörer.
Zurück blieb die Frage, welche Erwartungen der Vortragende wohl an sein Auditorium hatte: Gummistiefel, Friesennerz, Fischerhemd?
Mit dem nochmals einhelligen Ersuchen von allen Fraktionen und Gruppen, eine Visualisierung bzw. Gesamtansicht des Areals mit wirklich allen Häuslein in Bezug zueinander zu fertigen, wurde der Referent alsdann verabschiedet.
Verflucht
Es scheint ein Fluch auf dem Areal zu lasten; der letzte Projektentwickler, das Schachtelkonsortium NuRoKa, ist auf der ToDo-Liste zweier Staatsanwaltschaften, im Keller einer Gütersloher Hundeschule und schließlich in einem Bielefelder Self-Storage-Lager gestrandet – und der neue sieht nun auch nicht besonders vertrauenerweckend aus …
Ausblick
Fluchlösend wäre vielleicht ein Exorzismus, dessen Aspekte Thema der Fortsetzung an dieser Stelle sein sollen.
Wer sich ernsthaft mit der Quartiersentwicklung von Bensersiel befassen möchte, und das gilt zumindest für Ratsmitglieder und Touristiker, sollte sich ebenfalls zu Struktur, Verflechtung, Hintergründen und Referenzen der auftretenden Firmen und Personen Kenntnis verschaffen.
Dies soll ebenfalls Thema der Fortsetzung an dieser Stelle sein.
Ins Verhältnis gesetzt
Derweil düset, düset, düset im Sauseschritt Karin Emken, Bürgermeisterin, MdL und Landestourismuspolitikerin, in einer entfernten Umlaufbahn und funkt:
„Kick-off Tourismusstrategie
Was kommt? Was geht? Was bleibt? Wie gestalten wir den Tourismus zukunftsfähig in Niedersachsen? Diese und andere Fragen werden wir in den nächsten Monaten intensiv mit den Stakeholdern der Tourismusbranche diskutieren. Ziel ist die Weiterentwicklung unserer Strategie u.a. mit den klaren Schwerpunkten Nachhaltigkeit, Digitalisierung (KI), barrierefreier Tourismus und Fachkräftegewinnung. Ich freue mich auf den Prozess! Danke für die gelungene Auftaktveranstaltung.“
Stakeholder und andere Grillzangen
Und als ground control die Dechiffriermaschine öffnet, treten weitere Neusprech-Zerfallsprodukte zutage:
Zukunfts-Dashboard Destination: Ganzheitliche KPI’s, Zukunftsradar, Ökonomie-Ökologie-Soziales-Governance, Tourismus-Intensität, Produktkultur, Zertifizierung Green Labels, Modal Split Gäste, Circular Gap, Feel Good Index, Social Business, Regenerative Management; und weitere Funksprüche: Tourismus-Akzeptanz messen: Dashboard mit Kennzahlen aufbauen, permanentes Monitoring, Tourismus-Akzeptanz steigern; Dabei entsteht gleichzeitig eine neue Erinnerungskultur, wo der Tourismus eine starke narrative Qualität entwickeln muss, mit guter Inszenierung; Krisen-Tinnitus & Neukonfiguration, Smarte Allokation; Andreas Reiter berät in strategischen Zukunftsfragen, vorausschauender Transformation sowie systemischer Relevanz, Future Spirit…
Oh, yes!
Schemenhaft erkennen wir Karin Emkens Bensersiel – Da sind sie wieder: Taddigs‘ „Rrestrrukturrierrungsmanagement“, Braatz, von Bloh und Schmitzens „Destination Solution für Leistungsträgervernetzung“, schließlich Claudia Eilts‘ Sandkasten mit Riesenrad.
Und wir Stakeholder sehen Karins Landung mit Interesse entgegen.
Welcome back oder verglüht im Neusprech ?